„MAN BEKOMMT SO VIEL ZURüCK“

Warum sich drei Frauen mitten im Leben für die Pflege entschieden haben

„Man bekommt so viel zurück“

Was hat drei fest im Leben stehende Frauen veranlasst, in der Folge der Corona-Pandemie ausgerechnet in die Pflege zu gehen? Wir haben mit ihnen gesprochen - und sind schwer beeindruckt.

Erding – Während Corona hat die Pflege das Letzte aus sich herausgeholt. Dem Applaus der Bevölkerung folgte wenig bis nichts. Die Pandemie war für viele aus der Branche der Wendepunkt: Kliniken und Heime verlieren Personal oder verzeichnen hohe Krankenstände. Ausgerechnet in dieser Zeit haben sich Verena Steidler, Marie Huber und Anja Fischer entschieden, in Erding den Beruf der Pflegefachfrau zu erlernen. Und das, obwohl sie in anderen Berufen erfolgreich waren. Warum tun sie sich das an? Wir müssen reden!

Davon mussten wir die 22. 39 und 44 Jahre alten Frauen nicht einmal überzeugen. Denn sie haben eine Botschaft: Ja, Pflege ist anstrengend, aber auch erfüllend. Und wenn alle jammern, wird es sicher nicht besser, zumal immer mehr Menschen auf Hilfe angewiesen sind. Und: Eine Pflegeausbildung kann das Sprungbrett zu vielen Karrieren sein.

Verena Steidler ist 39 Jahre alt, lebt in Taufkirchen und hat zwei neun und zwölf Jahre alt Kinder. Gelernt hat sie den Beruf der Friseurin. Der Corona-Lockdown traf Steidler mit voller Wucht – sie wurde komplett ausgebremst. „Ich hatte immer schon Lust auf einen sozialen Beruf“, erinnert sie sich. „Mein Mann arbeitet auf der Intensivstation des Klinikums.“ Er habe ihr zugeredet. Als einer von Wenigen. „Ich habe viel Gegenwind gespürt, Familie und Freunde haben mich gefragt, warum ich das mache.“ Und sie gibt zu: „Ich weiß nicht, ob mit 17 Jahren dem Druck standgehalten hätte, wohl eher nicht.“ Zumal nicht jeder Pfleger nett mit dem beruflichen Nachwuchs umgehe. „Ich verstehe das nicht, wir sind doch die Verstärkung von morgen.“ Nun ist sie mit 18 Kollegen im zweiten Ausbildungsjahr am Bildungszentrum für Gesundheitsberufe. Aktuell arbeitet sie auf der Neugeborenen-Station.

„Keine Frage, in der Pflege ist nicht alles rosa, es gibt auch schlechte Tage. Aber wenn alle immer nur jammern und alles schlecht reden, dann wird das nichts. Dabei brauchen immer mehr Menschen Pflege. Es wird jeden von uns treffen.“

Selbst dem Schichtdienst kann die 39-Jährige Gutes abgewinnen: „Wir haben auch mal unter der Woche frei, können die Zeit für uns nutzen, insbesondere wenn auch mein Mann frei hat.“ Da seien einige neidisch.

Marie Huber hat Bauzeichnerin gelernt, doch Büro und Baustellenbesuche wurden ihr alsbald zu eng. Den Grundstein für die Ausbildung zur Pflegefachfrau hatte sie davor gelegt – bei einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) im Erdinger Klinikum. Dorthin zog es sie zurück: Auch die Eittingerin ist im zweiten Lehrjahr – derzeit ist sie in der Psychiatrie in Dorfen eingesetzt – und hat wunderbare Erfahrungen gemacht: „Die allermeisten Patienten sind dankbar, dass wir für sie da sind. Man bekommt so viel zurück, das ist bei allem Stress erfüllend.“

Und: Ihr hier erlerntes Wissen könne sie auch im Alltag nutzen, etwa wenn mal jemand aus der Familie krank ist. Auch Steidler schätzt die netten Rückmeldungen, das Gefühl gebraucht zu werden. Sie empfinden es gar als Ehre, „für die Generationen da zu sei, die den Grundstein für unseren Wohlstand gelegt haben“, sagen sie, die beim Klinikum angestellt sind.

Huber findet, dass in Deutschland wieder ein sozialer Pflichtdienst eingeführt werden sollte, „weil dann viel mehr junge Menschen erfahren würden, welch tolle Möglichkeiten die sozialen Berufe bieten“. Aus ihrem 27-köpfigen FSJ-Jahrgänge hätten danach unter anderem fünf Medizin studiert und sieben eine Pflegeausbildung begonnen. Sie ist überzeugt, dass dem Mangel so am besten begegnet werden könnte.

Anja Fischer aus Wartenberg – ihr Arbeitgeber ist die Klinik Wartenberg – hat Kosmetikerin und Friseurin gelernt, „nicht zuletzt deshalb, weil ich nach der Schule ein Jahr zu jung für die Pflegeausbildung war“, erinnert sich die heute 44-Jährige. Kurios: Zwei ihrer drei Kinder durchlaufen derzeit ebenfalls die Pflegeausbildung. Ist das nicht komisch? „Das passt eigentlich, denn wir unterstützen uns gegenseitig und lernen manchmal auch miteinander“, sagt Fischer mit einem Schmunzeln.

Sie ist ein Kraftpaket: Die alleinerziehende Mutter arbeitet nebenbei noch als Fußpflegerin und Kosmetikerin, „sonst würden wir nicht über die Runden kommen“. Derzeit ist sie an der St. Nikolaus-Schule eingesetzt, „wo es mir sehr gut gefällt“. Fischer hat davor eineinhalb Jahre in der Palliativmedizin als Pflegehelferin gearbeitet. Für sie schlägt ihr Herz: „Wir sind da kein Team, wir sind eine Familie. Das motiviert.“

Den Pflegeberuf zu ergreifen, könne sie nur empfehlen. „Die meisten wissen gar nicht, welche Vielfalt die generalistische Ausbildung bietet – bis zum Studium.“

Allen drei ist bewusst, dass die Bezahlung mäßig, die Belastung oft hoch ist. Und doch wollen sie nicht jammern – „weil es das nur schlimmer macht“, sagt Steidler. Im Gegenteil. Sie, Huber und Fischer haben erkannt: Ihr Beruf ist eine Berufung. Die ungewöhnliche Entscheidung hätten sie als Spätberufene nie bereut. ham

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